Der Weimarer Kulturexpress zu Gast am Gabelsberger-Gymnasium mit seinem Zwei-Mann-Stück „Mobbing“

Mainburg. Das von Katrin Heinke geschriebene und den beiden Schauspielerinnen Daria Gabriel und Nancy Dölves gespielte Stück „‘Mobbing‘ – wenn Ausgrenzung einsam macht. Ein Stück über Macht und Ohnmacht“ sensibilisierte nicht nur alle Schüler der 9. Klassen am GGM für das Thema, sondern bot auch Erklärungsansätze und Lösungen an.

Welchen Unterschied macht es für die Reinigung einer Flasche, wenn man sie statt einmal mit einer bestimmten Menge klaren Wassers auszuspülen zweimal hintereinander mit jeweils der halben Menge Wasser reinigen würde? Dieses scheinbar völlig nebensächliche Milchflaschen-Gedankenexperiment führt im Stück „Mobbing“ zum ersten Konflikt zwischen der besonnenen und unscheinbaren Laura, die das Problem mit kühlem Verstand löst, und ihrer flippigen und stets aktiven wie auch beliebten Banknachbarin Franziska. Beide Figuren sind Schülerinnen und sitzen im neuen Schuljahr zufällig nebeneinander. Franziska wird bald eifersüchtig auf die Noten und die Leichtigkeit wie die Brillanz, mit der Laura ihre Leistungen erzielt. Sie ist auch eifersüchtig auf die Geborgenheit und den familiären Rückhalt, den Laura genießt. So keimt hinter der selbstischeren Fassade der allseits Beliebten zunächst Neid, dann bricht regelrechter Hass hervor. Aus der harmlosen Neckereien werden Streiche, dann boshafte Scherze, Sachbeschädigungen und schließlich gipfelt die Auseinandersetzung in einem sich neurotisch steigernden Feuerwerk von Psychoterror, üblen Nachreden und Ausgrenzungen, das sich auch, ja vor allem des Cybermobbings (über Facebook, Whatsapp) bedient.
W. Melchior, Lehrer am Gabelsberger-Gymnasium Mainburg, hatte den Weimarer Kulturexpress und alle 9. Klassen (156 Schüler) zusammen mit ihren Deutschlehrern, den Herren Fiesel, Tetzlaff und Faber sowie Frauen Thürriegl und Liebl bzw. Bachhuber eingeladen.. Zwar konnte kein Theatersaal geboten werden, aber der Versammlungsraum neben der Mensa sorgte – wie die beiden Schauspielerinnen es ausdrückten – für ein „familiäres Spiel“, das Vorteile hatte. So bot die Aufführung Verfremdungseffekte in bester Brecht-Manier an, etwa wenn „Herr Melchior“ um eine Streitschlichtung oder „Herr Tetzlaff“ nach dem Weg gefragt wurden. Am wichtigsten allerdings blieb dabei, dass das jugendliche Publikum stets direkt oder indirekt angesprochen wurde und sich auch so fühlte. Die 15- bis 16-Jährigen mussten in jedem Moment Stellung beziehen und ergriffen so Partei für eine der beiden Mädchen – entweder indem sie sich, vielleicht auch unsicher, lachend auf die Seite der mobbenden Franziska schlugen oder betroffen mit der gemobbten Laura sympathisierten.
Daria Gabriel als Laura und Nancy Dölves als Franziska glänzten nicht nur schauspielerisch in einem zwar nicht mit sprachlichen Leckerbissen und dramaturgischer Artistik aufwartenden, aber didaktisch klug aufgebauten Drama (oder besser: jugendlichen Trauerspiel), sondern forderten die Schüler in der anschließenden Diskussion auch dazu auf, Erklärungs- und Lösungsansätze für das Gesehene zu finden. Schnell wurde klar, dass Mobbing immer in Eskalationsschritten und auf mehreren Ebenen abläuft; je weiter man bereits geschritten ist, desto schwieriger wird seine Beendigung. Physische Angriffe gehören dabei noch zu den manifesten und direkten Formen, die kontrollierbar zu sein scheinen; regelrecht bösartig sind jedoch die indirekten und latenten Formen, die ihre Wirkung erst dann am Mobbing-Opfer entfalten, wenn es sich nicht mehr wehren kann: Gerüchte streuen, Intrigen schmieden, Unterstellungen verbreiten sind alles Maßnahmen, die das Mobbing-Opfer meist erst dann erreichen, wenn es bereits zu spät ist.  Schließlich reifte zudem die Erkenntnis, dass zum Mobbing nicht nur zwei, sondern drei Seiten gehören: der Mobber, der die Initialzündung und der Grund ist, der Gemobbte, der sich die ersten Anfeindungen bereits gefallen lässt und sich so aus Sicht des Mobbers mit der Opferrolle abfindet und ihn weiter reizt, und last but not least die Klasse, die das „Publikum“ und die Bühne für den Mobber bildet, vor dem und für das der Mobber seine perfiden Machenschaften veranstaltet. Gerade der letzte Punkt, so konnten Gabriel&Dölves den Schülern vermitteln, ist entscheidend: Sie selbst als Figuren empfänden dies unmittelbar durch die Reaktionen des Theaterpublikums. Ein mobbingfeindliches Publikum würde Franziskas Rolle erheblich vereinfachen, ein mobbingaffines stachele Franziska noch mehr an. Am Ende leuchteten zwei Lösungsansätze ein: Wichtig ist es, sich als Mobbing-Opfer schnell jemandem anzuvertrauen, noch besser ist es, anderen klare Grenzen zusetzen. Und: Im echten Leben gibt es keine echten Zuschauer, denn jeder, auch derjenige, der nichts tut und wegsieht, trägt etwas zur Verschärfung der Situation bei. Hinsehen, fragen, helfen – nur das sind die ersten Schritte, um dem Mobbing keine Chance zu geben. Beide Schauspielerinnen machten am Ende noch auf einen Ansatz aufmerksam, der in England entwickelt wurde und Mobbing schnell und effizient ersticken kann: www.no-blame-approach.de. Dabei werden alle Betroffenen ohne eine einzige Schuldzuweisung in einen Lösungsprozess eingebunden.
Mobbing ist ein komplexes Phänomen, das über verschiedene auch subtile Formen von Gewalt (physisch, verbal, psychisch) auch und am Ende in indirekten Formen  gipfelt. Seriöse Schätzungen schwanken von jedem dritten (Leuphania-Studie Lübeck i.A. der DAK, 2010) bis zu jedem zehnten (Durchschnitt von Studien zwischen 1991 und 2002) Jugendlichen, der mind. einmal in seinem Leben als Mobbing-Opfer betroffen war. Nach der repräsentativen Online-Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing e.V. sind 17% aller Schüler in Deutschland Opfer von Cybermobbing-Attacken geworden, also knapp jeder sechste! Das sind, auch wenn man die erhöhte (Hyper)Sensibilisierung von Eltern und Jugendlichen einschränkend in Betracht zieht, immer noch erschreckend hohe Zahlen. In durchschnittlichen Klassen sitzen demnach vier bis sieben Personen, die aktuelle oder vergangene Erlebnisse von Ausgrenzung zu bewältigen haben oder dies gerade tun. Im Übrigen sind die meisten Mobber in  9. Klassen anzutreffen (nach Hanewinkel&Knaack, 1997).
„Mobbing“ bot in 60+30 min alles, was heutiges Jugendtheater attraktiv macht: ein aktuelles Thema, professionelle Darbietung, eine spannende Story sowie eine altersgemäße Behandlung. Das GGM freut sich schon auf das Stück im nächsten Jahr!

W. Melchior M.A

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